Kind beim Klettern im Baum
Wir nutzen die Osterfeiertage zum Rausgehen, Spielen, Natur entdecken.

„Wann bekommen wir endlich unser altes Leben zurück?“ ist vielerorts zu hören. Und tatsächlich, Corona ist Sch—-. Menschen sterben. Wenn wir Pech haben, auch Menschen um uns herum. Und wir dürfen deswegen Oma und Opa nicht sehen. Und, keine(r) von uns ist unverwundbar. Letzteres hätten wir auch vorher schon wissen können.

Stationenweg im Wald zu Karfreitag
Am Karfreitag entdecken wir einen Stationenweg – die tagesaktuelle „Schnitzeljagd“ kommt gut an!

Die düsteren Aspekte der Gegenwart verbieten uns aber nicht, auch die guten Seiten dieser Zeit zu entdecken: Wir müssen nirgendwo hinfahren, nicht planen, nichts packen, keine Attraktionen unbedingt nicht verpassen. So viel Ballast, den wir uns sparen, schon alleine das bringt Freiheit. Und freie Zeit. Die wir zum Beispiel mit Gelassenheit verbringen können :-).

Action-orientierte Corona-Aktivitäten

Löcher  buddeln im Wald
Der verbleibende Tag wird zum Graben von Löchern genutzt.

Allerdings hat unsere Familie, wie bestimmt viele, bisher eher anders funktioniert. Eigentlich sind wir stets auf der Suche nach spannenden Erlebnissen. Klettern mit Kleinkind in den Alpen, Wandern mit drei kleinen Kindern in Norwegen, gemeinsam dunkle Höhlen erforschen – wir sind auf Abenteuer aus.

Kind lehnt an bemostem Baumstamm
Ostersamstag: gemütlicher Waldspaziergang mit vor allem Pausen.

Also hat Corona uns zunächst dazu gebracht, möglichst viele Abenteuer in der näheren Umgebung zu suchen. Nachdem wir alle noch so kleinen Waldwege kreuz und quer durchquert hatten (sogar mit Corona-gerechter Schnitzeljagd), sind wir dann langsam etwas ruhiger geworden. Den großen Wildnis-Ideen im Wald um die Ecke folgten alle Alltagsabenteuer, die uns so eingefallen sind. Aber wie weiter?

Neue Grenzen

Moos am Baumstamm wird von Kindern untersucht
Wie fühlt sich das Moos am Baum an?

Nachdem alle offensichtlichen Events und Aktivitäten in der Nähe abgegrast waren, stellte sich immer noch jeden Morgen die Frage: was tun wir nun mit den Kindern, den ganzen langen Tag über. Ohne den erweiterten Aktionsradius, ermöglicht durch Auto, Bahn, Flugzeug etc. fühlten wir uns doch plötzlich begrenzt. Was sollen wir den Kindern und uns bieten, um die Zeit „sinnvoll zu füllen“? Irgendetwas ist zu tun, um nicht gleich morgens in Depression zu verfallen (die tritt gerne morgens auf, eben wegen des endlos scheinenden Tags voraus)!

Neue Ideen – Nichtstun?

Ostereier Teilen
Die selbstgefärbten Ostereier schmecken bestimmt im Wald am besten!

Gerade ist Frühling, ein Bilderbuch-Frühling. Zeit für ein Experiment: Wir gehen mit den Kindern raus, nichts tun. Nicht so spannend? Anstrengend, die Kinder dabei zu bespaßen? Überraschenderweise überhaupt nicht. Wie wir gelernt haben, funktioniert das (mit unseren Kindern) sogar ganz einfach! Nämlich so:

Kind hoch oben auf dünnem Baum
Weit, weit hinauf …

Zuerst bewegen wir uns – meist zu Fuß – zu einem schönen Ort ohne Menschen drum herum. Das ist mal eine wenig besuchte Wiese, mal eine Lichtung ein paar Meter weg vom Waldweg. Dort wünschen die Kinder dann erst mal Picknick. Sie sind ja schließlich „gewandert“ … also, gibt es zunächst ein bisschen Picknick, Brot, Käse, Apfel, sowas.

Selbst gemachte Spiele

Kinder am Natur-See
Zum Glück gibt es auch Seen ohne „absolutes Betretungsverbot“ – Wasser ist magisch anziehend, bei dem Sommerwetter.

Sobald das nicht mehr spannend ist, geschieht das Erstaunliche: es beginnen irgendwelche Spiele. Ganz ohne uns Eltern, unsere Pläne und unsere Anleitung. Und gerne auch gleich stundenlang. Löcher graben, Bäume pflegen, Moos verteilen, Kunstwerke basteln, Stöcke ins Wasser werfen, klettern – an jedem Pauseplatz entwickelt sich irgendwas. Ganz ohne Pädagogik oder sonstwie Erwachsenen-Struktur. Fast zu einfach für die Großen? Gar nicht einfach. Sich nicht einzumischen, bis sich etwas entwickelt hat, ist schwer. (Es empfiehlt sich, ein Buch mitzunehmen und klar zu signalisieren, dass jetzt Mama und/oder Papa Pause ist :).

Ostereier suchen
Ostersonntag: hier war gerade eben noch der Osterhase!

Ausgedehnte Pausen im Wald, Pausen über einen halben Tag lang, können sehr schön sein. Das haben wir, die wir bisher eigentlich immer vor allem unterwegs waren, jetzt also neu entdeckt. Ohne zu wissen, dass das, was wir da machen, Waldbaden heißen könnte. Danke Corona-Krise. Und danke, du warmer und sonniger Frühling 2020.

Gelassen Wandern, gelassen werden

Manche Osternester sind ziemlich weit oben, Baumklettern erforderlich
Manche Osternester hat dieser Hase ziemlich weit oben versteckt!

Das gelassene Wandern – unsere aktuell bevorzugte Mischung aus Wandern und Nichtstun – kann dabei durchaus zwischen den Pausen auch ein paar kurze Spazier-Abschnitte beinhalten. Es ist in jedem Fall ein starker Kontrast zur Freizeitgestaltung auf der Suche nach Erlebnissen, Highlights oder zum Abarbeiten der neuesten „Bucket-List“. In Corona-Zeiten sind gerade fast alle touristischen Unternehmungen verboten. Dies nimmt den Druck von uns, solche Erlebnis-Status-Symbole sammeln zu müssen. Kein Ausflug in die Gartenschau wird gebraucht, kein Superpark, kein Touristen-Magnet. Geht ja eh nicht.

Gemütlich wandern in der Natur mit Kindern
Keine Ostereier mehr, am Ostermontag. Dafür wandern wir nett über den Schiener Berg.

Die Unsicherheit bedeutet Stress. Die Beschränkungen nehmen Stress. Und wir probieren Dinge, die vielleicht sogar besser sind, als „unser altes Leben“. Dafür müssen wir uns darauf einlassen, Neues auszuprobieren. Dann haben wir die Chance, uns nochmal anders kennenzulernen. Und in unserem Fall auch den heimischen Frühling (oder wahrscheinlich auch jede andere Jahreszeit) wirklich zu erleben! Jeden Tag können wir dabei zuschauen, wie sich Blüten öffnen, wie Blätter wachsen. Eine gute Übung darin, hier und jetzt zu sein.

Wo finden wir Gelassenheit?

Rangeleien am Baumstamm - Kind und Mutter
Natürlich gibt es wieder vor allem Pausen. Und sogar die Eltern dürfen mal mitspielen!

Das Nichtstun um die Ecke hat Vorteile:

  • ein Ausflug ins Grüne ist auch im Frühjahr 2020 in der einen oder anderen Weise fast überall in Deutschland erlaubt. 
  • für dieses Frühlings-Erlebnis ist keine Fahrt zum Sightseeing-Highlight nötig. Was wir entdecken wollen, Natur, gibt’s in Berlin im Grunewald genauso wie in den Harburger Bergen bei Hamburg oder im Frankfurter Stadtwald oder auch auf dem Dorf zwei Schritte vor der Haustür.
  • Und das Tolle: diese Neuentdeckung ist total krisensicher. Auch bei (noch nicht vorhergesagten) 30 % Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts und 50 % Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter praktizierbar. Man braucht dafür kein Geld, jede(r) kann sich das leisten.
Kinder erforschen den Pfad im Wald
Ein Tag voll von gelassenem Spazieren, Pausieren, Spiel.

Das Nichtstun um die Ecke hat auch Grenzen. Homeoffice, Schulaufgaben und Kinderbetreuung stehen dem Müßiggang häufig entgegen. Die Kinder müssen Schulstoff lernen, wollen im Spiel begleitet werden, die Eltern sollen nebenher noch sowas wie Arbeit abliefern. Aber das muss niemanden hindern, den einen oder anderen Nachmittag einfach ohne großen Plan raus zur Natur zu gehen. Und Wochenende ist weiterhin Wochenende.

Bergab über spannenden Weg stürmen
Kinder brauchen Bewegung. Offenbar.

Also, lasst uns spazieren. Nicht langweilig. Nein, als Chance, ein einfaches schönes neues Stück Leben zu entdecken! Wäre doch schade, wenn uns diese Ausnahme-Zeit nur den Wunsch bringt, möglichst schnell wieder den alten Alltag beginnen zu wollen. Und uns dann zu ärgern, dass wir weniger reich sind als vorher.

Vom guten Leben

Familie mit Kindern auf Wiese im Frühling
Zufrieden geht’s zurück nach Hause.

Das sind natürlich keine ganz neuen Erkenntnisse – eher ganz alte Erkenntnisse. Aber für Familien wie uns, die bisher meist auf Erleben und Action abzielten, eine überraschend gute Erfahrung. Eine Übung darin, wirklich hier und jetzt zu sein. Wenn wir dabei aufmerksam sind, werden wir vielleicht ganz ohne „Verzicht“, sozusagen nebenher, ein wenig zufriedener und nachhaltiger für uns und die Welt. Und vielleicht, vielleicht finden wir ja statt des alten Lebens so ganz nebenbei ein neues Leben, in dem Konsum und Leistung nicht mehr der einzige Maßstab sind?


1 Kommentar

Thomas Vahland · 30. August 2020 um 08:54

Lieber Tobias,
herzlichen Dank für Deinen tollen Bericht. Du hast den Nagel in allen Punkten auf den Kopf getroffen… In der Nähe gibt es eine ganze Menge mit Kindern zu entdecken…Man muss es nur tun…
Viele Grüße
Thomas

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